Foto: Josephine Sowah

Rassismus in der Vorstadt: Sollen wir als Familie gehen oder bleiben?

Josephine hat vor fünf Jahren Deutschland verlassen, weil sie sich hier mit ihrem Mann mit dunkler Hautfarbe immer unsicherer fühlte. Jetzt sind sie als Familie mit zwei kleinen Kindern zurück. Eine Bestandsaufnahme.

Ich wollte nicht mehr angestarrt werden

Mir geht es gut! Beim Reisen durch Asien verliebte ich mich in den letzten 24 Stunden in Bangkok in einen Briten, dessen Eltern aus Ghana kommen. Zurück in Deutschland kam er mich in Dresden besuchen. Und dann flog ich zu ihm und er wieder zu mir. Nach einem Jahr Fernbeziehung hatten wir vom Fliegen die Nase voll und ich buchte das One-Way-Ticket nach London. Uns geht es viel zu gut! Die Entscheidung, dass ich zu ihm und nicht er zu mir zog, fiel damals leicht. Ich wollte auf der Straße nicht mehr schon aus zwanzig Metern Entfernung angestarrt werden, nur weil die eine Hand von zwei Händen, die sich halten, dunkler als die andere ist.

Ich wollte nicht jedes Mal froh sein müssen, dass wir bei einem Ausflug ins Grüne mal ausnahmsweise keine starren Blicke bekamen. Ich konnte dem nicht standhalten, ich war dafür zu sensibel. Und hatte keine Geduld zu warten, ob ich mich in der Provinz als Paar unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe doch noch eines Tages wohlfühlen kann, wenn es sich zeitgleich in Metropolen wie das Natürlichste der Welt anfühlt.

Die unsichere Zukunft in England nervt

Drei Jahre, eine Hochzeit und zwei Kinder später. Allgegenwärtige Rassismusprobleme sind für uns als Paar in London nicht mehr existent. Dafür wurde am 23. Juni 2016 der Brexit gewählt. Und für mich als Ausländerin fängt die unsichere Zukunft dieses Landes an zu nerven. Gefolgt vom verzweifelten Wunsch nach bezahlbaren Kitaplätzen, bei denen ich nicht mein komplettes Gehalt in die Kinderbetreuung stecke, und vom Bedürfnis nach einer Wohnung, für die man vielleicht 1400 Euro zahlen muss, aber dafür mehr hat als 50 Quadratmeter. Also bewerben wir uns in Berlin, mieten ein schickes Haus am Rand der Stadt, melden die Jungs in der lokalen Kita an, wundern uns über so manche Probleme der Deutschen und genießen die neue, praktischere, finanziell soviel bessere Situation.

Doch bähm sind die alten Probleme wieder da. Nur mit kleinen Kindern im Schlepptau noch einen ganzen Zacken schärfer. Wenn die Tagesmutter mit unseren Kindern unterwegs ist und hinter ihr getuschelt wird, „guck mal, das ist die, die jetzt auch Flüchtlinge aufnimmt.“ Wenn wir am Wochenende spazieren gehen und ein Typ zehn Meter entfernt auf meinen Mann zeigt und laut „Guckt mal, ein N*!“ ruft. Wenn ich in einem Spielcafé gefragt werde, ob das mein Kind ist, das in der letzten Stunde mindestens zehnmal in meine Richtung ,Mama‘ gerufen hat. Wenn mein Mann an dem Bahnhof, von dem er täglich zur Arbeit fährt, wöchentlich angehalten wird, um seinen Ausweis zu zeigen.

„Na, zu viel Sonne abgekriegt?“

Wenn ich von jeder dritten Mutter im Dorf gefragt werde: „Und, ist es okay für euch hier? Habt ihr schon schlechte Erfahrungen gemacht?“ Und ich mir denke, äh ja, ist es denn okay für dich? Und welche Erfahrungen meinst du, bis auf das schlechte kulinarische Angebot oder den hässlichen Spielplatz? Wenn ich ohne mit der Wimper zu zucken gefragt werde, ob es stimmt, was man über „sie“ sagt und die interessierte Person dabei auf den Teil der Hose meines Mannes blickt, unter dem er oder sie seinen Schwanz vermutet und so eine Situation nicht nur einmal vorkommt. Wenn beim Kinderturnen ein Junge mehrmals mit dem Finger auf meinen Sohn zeigt und laut „Der sieht ja komisch aus“ ruft und seine Mutter, die direkt neben ihm steht, es nicht für nötig hält, diese Aussage zu kommentieren.

Wenn der Ferienwohnungsbesitzer uns zur Begrüßung „Na, zu viel Sonne abgekriegt?“ entgegenschmettert und ich vor lauter Fremdscham am liebsten die Tür so schnell aufreißen würde, dass er im hohen Bogen den Hang zum Meer runterpurzelt. Wenn die Zahnarztassistentin meint, während mein Mann direkt daneben steht: „Nach der Operation am besten die Sonne vermeiden, aber die braucht er ja eh nicht, nicht wahr“ und ich nur nüchtern zurückfrage: „Warum braucht er die nicht?“ und sie sich leicht panisch zu ihrer Kollegin dreht.

Wenn mein Sohn in der Garderobe auf eine Mutter und ihr Kind zugeht und laut ,Guten Morgen‘ ruft und sie ihm abschätzig „Lass das bitte“ zuraunt, und ich von Müttern mit weißen Kindern höre, wie nett sie immer ist. Wenn mir am Kitator vor zig anderen zugerufen wird: „Hey, wie geht’s? Hast du schon gesehen, es gibt jetzt noch zwei andere? Cool, oder!“ und mit den ,anderen‘ die neuen Kinder im Dorf gemeint sind, deren Mutter aus der Dominikanischen Republik stammt.

Wenn ich einen Flyer für meine Spielgruppe gestalte, auf der Kinder unterschiedlicher Hautfarbe miteinander spielen und mir ganz euphorisch mitgeteilt wird: „Voll lustig, deine Söhne sind auch mit drauf“. Wenn ich nach einem heftigen Streit mit meinem Mann die Flucht ergreife und heulend auf einer Parkbank sitze und nach ihrem Nachfragen einer fremden Frau mein Leid darüber klage, wie stressig es ist, mit kleinen Kindern die Beziehung am Leben zu erhalten. Und sie großes Verständnis für das Thema zeigt, es wäre bei ihr nicht anders gewesen. Als mein Mann auf mich zukommt, um den Streit zu schlichten, mir in die Seite stupst und flüstert: „Schnell weggucken, da ist schon wieder so einer, die denken echt, die können das hier bei uns machen.“

In die Haare fassen ist nicht okay!

Wenn ich an einem Freitagmorgen auf dem Aldi-Parkplatz mein Fahrrad abstelle und eine Frau erst mich und dann meine Kinder abscannt, um danach aus ihrem grauen Polo zu rufen: „Sie wissen schon, dass Sie hier auf einem Parkplatz stehen?!“ Und mit einem Ruck ansetzt und auf meine Kinder, die im Anhänger sitzen, zurollt und ich schnell mit ihnen zur Seite springen muss. Rechts und links neben uns reihen sich zahlreiche freie Parkplätze.

Wenn jemand meinen Söhnen ungefragt in die Haare fasst und das okay findet, weil es nur „nett“ oder „interessiert“ gemeint ist. Es ist nicht okay! Die zwei wachsen in einem liberalen, zweisprachigen Haushalt mit unterschiedlichen Hautfarben auf – damit sind wir hier im ,Vorstadt-Speckgürtel Ostberlins‘ definitiv eine Bubble. Was ist die Konsequenz? Wieder Wohnung, Job und Freunde aufgeben und alles zusammenpacken, obwohl wir mit kleinen Kindern nicht mehr mitten im Zentrum einer Großstadt wohnen wollen? Auf all die anderen hören, die gar nicht verstehen können, wie wir überhaupt auf die Idee gekommen sind, es könnte hier schön für uns werden und bei denen ich mir immer nur denke, du würdest das doch auch nutzen, wenn du ein schönes Haus findest und Landluft magst und dir dieses Programm auf der anderen Seite Berlins nicht leisten kannst.

Die Jungs lieben den täglichen Gang zum Bauernhof und strahlen auf ihren Laufrädern dabei um die Wette. Nichts im Vergleich zu den nervenaufreibenden Slalomrennen mit dem Kinderwagen durch die Stadt. Und auch wir fühlen uns beim spontanen Lagerfeuer im Garten viel befreiter als in muffigen Bussen zum nächsten Pub. Ich habe einen Elterntreff für die Gemeinde gegründet, wir gehen hier einkaufen und auf alle lokalen Feste und sind fest integriert. Mein Mann ist der festen Überzeugung, dass die Vorteile für uns hier überwiegen. Er liebt das große Haus und würde so einiges auf sich nehmen, um nicht so schnell schon wieder Umzugskisten packen zu müssen. Aber zu welchem Preis? Unsere Realität zeigt zwei quietschfidele, strahlende, wilde, euphorische, zauberhafte, wunderschöne Jungs. Und wenn wir bisher ab und an auf Idioten getroffen sind, konnten wir das gut abschirmen und ich wage zu behaupten, dass es bisher keiner geschafft hat, ihnen nur ansatzweise das Gefühl zu geben, minderwertig zu sein.

Ein schales Gefühl bleibt

Aber der Realität müssen wir trotzdem ins Auge schauen. Wir werden hier immer die Exot*innen sein. Das muss man wollen. Bei mir bleibt ein schales Gefühl – ich will es nicht. Montagabend, ich gebe in einer nahen Kleinstadt einen Kurs für Kreatives Schreiben. Die Teilnehmerinnen sind kultivierte, herzliche Frauen. In einer der Übungen sollen sie eine Minute ihres Tages, die ihnen im Kopf geblieben ist, detailliert beschreiben. Eine der Frauen liest ihren Text im Anschluss vor. Es handelt sich um die Herausforderung für sie als Erzieherin, dass ihre Chefin ihr heute ohne Vorwarnung ein „farbiges“ Kind anvertraute. Wie würden die anderen Kinder wohl reagieren?

Als ich später durch die Dunkelheit über die Dörfer nach Hause brettere, tropfen die Tränen auf das Lenkrad. Im Kopf immer wieder der Brief meiner Oma, „Kind, das ist jetzt euer Zuhause, Punkt.“ Mein Mann wird in der Nacht noch zu hören bekommen, dass wir Ende des Jahres in die Stadt ziehen. Denn ich habe als Mutter von zwei kleinen Gurken ganz andere Probleme als rassistische Ignoranten, auf die ich mich in Zukunft konzentrieren will und muss. „Wir bezahlen diesmal ein Umzugsunternehmen, Baby!“ Uns geht es gut!

 

Josephine Sowah wurde Ende der 80er an der tschechischen Grenze geboren und hat ihre Jugend sitzend auf einem Skateboard und rauchend im Keller verbracht. Mit neun Jahren schrieb sie in ihr Tagebuch, dass es am Tag ihrer Geburt zu einer Explosion kam und damit der neue Jesus Christus geboren ward. Mit 24 brachte sie als jüngste Verlegerin Deutschlands das Päng!Magazin heraus. Heute gibt sie Schreibkurse in Berlin und veröffentlicht als freie Autorin brutal ehrliche und unheimlich mitreißende Texte über Identitätskrisen und internationale Ehemänner. Ihr findet sie auf www.josephinesowah.com und auch auf Instagram und Facebook .

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